107. Protestwanderung

 

Schweinrich Neujahr 2008

 

Geistliche Besinnung

Pfarrer Wilhelm Lömpcke, Schwarz

 

 

Eine geistliche Besinnung am Neujahrstag 2008 …

… kann auf die Jahreslosung nicht verzichten: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ sagt Jesus im Johannesevangelium.

 

Ist doch ein schönes Wort – oder?! Welche Vorstellungen haben wir, wenn wir leben hören? Welche Assoziationen weckt das Wort „leben“ in uns?

 

„Ich lebe und ihr sollt auch leben!“

Am liebsten wäre es uns, da stände auch noch gleich dahinter – „und deshalb kein Bombodrom!“ Steht’s aber leider nicht ganz so plakativ. Wäre wohl auch etwas zu schade, wenn dieser einfache, klare Satz: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ nur auf die Verhinderung des Bombodroms gemünzt wäre.

 

Und wir müssen auch damit leben, dass in irgendeiner Kaserne heute ein Militärpfarrer diese Jahreslosung für „seine“ Soldaten auslegt und ihnen damit Hoffnung und Zuversicht zuspricht. Sicherlich auch Bomberpiloten.

 

Nun ist „leben“ ein Modewort. Was meint man denn mit „leben“? Es verdeckt womöglich mehr Ratlosigkeit, was denn Leben sei, als es an Möglichkeiten freilegt. Vielleicht steckt in dem Wort „leben“ mehr Sehnsucht drin als Fähigkeit, tatsächlich zu leben. Auf jeden Fall steckt auch viel Kraft drin.

 

„Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ beschreibt ein Lebensverhältnis zwischen unterschiedlichen Personen. „Ich lebe“ ist eine selbstbewusste Aussage, voller Kraft. Und diese Aussage hat eine Folge, eine Konsequenz: „und ihr sollt auch leben!“. Ich - und ihr auch.

 

Vielleicht wird die Besonderheit erst dann so richtig deutlich, wenn man sich andere Beschreibungen von Lebensverhältnissen ansieht.

 

„Leben und leben lassen“ ist so eine davon – hat auch etwas, ist aber relativ gleichgültig dem anderen gegenüber. Aber wenigstens ist hier der andere akzeptiert in seinen Lebensbedürfnissen: „leben lassen“. Da wäre man hier ja im Blick auf das Bombodrom ja schon froh, wenn uns zugestanden wird: „leben lassen“.

 

Zu der Zeit, als Jesus diesen Satz „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ gesagt hat, da gab es nur Gewinner oder Verlierer. In der römischen Arena konnte nur einer der Gladiatoren gewinnen. Nur einer konnte leben – einer musste sterben. Das Volk jubelte dem Sieger, dem Mörder zu. Man stelle sich in der Arena den Satz vor, wie ein Gladiator zum anderen sagt: „Ich lebe und du sollst auch leben!“ Der Kampf wäre zu ende. Der Mord findet nicht statt. Der Jubel darüber, dass Blut fließt, verstummt. – Das machte die ersten Christen so gefährlich in einem Staat, für den „Brot und Spiele“ die Methode war, das Volk ruhig und bei Laune zu halten. Selber leben und das Leben des anderen zu unterstützen, das ist revolutionär in einem System, das durch die Erniedrigung und Demütigung von Menschen funktioniert. (Nächstenliebe ist für jedes totalitäre System eine Gefahr).

 

Ein ganz anderes Lebensverhältnis ist das der Todessehnsucht - damit haben wir in Deutschland geschichtliche Erfahrung. „Ich sterbe und ihr sollt auch sterben!“ war Anfang 1945 sehr beliebt. Der Heroismus dieser Art kehrt im Rechtsradikalismus wieder.

 

Und dann gibt es auch die Variante der Sauger: „Damit ich leben kann –müsst ihr den Gürtel enger schnallen.“ Höchst aktuell in der Diskussion zwischen Mindestlöhnen und Managerspitzengehältern. Wie würde sich in der aktuellen Diskussion der Satz ausnehmen: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Das hört sich an wie der Anfang der sozialen Marktwirtschaft – lange vor dem Wirtschaftsliberalismus.

 

Und natürlich gibt es all diese Varianten auch im kleineren, im zwischenmenschlichen Bereich. Wie Menschen miteinander umgehen, wie sie ihre Beziehungen gestalten oder ihre Beziehungen unbewusst leben. Ist ja ein ganz eigenes Thema.

 

Und wahrscheinlich gibt es auch noch ein paar Varianten mehr. Ich wollte nur zeigen, welche Kraft und welcher womöglich Sprengstoff in diesem einfachen Satz Jesu steckt: „Ich lebe- und ihr sollt auch leben, ihr werdet auch leben.“

 

Dieses Lebensverhältnis wird also beschrieben als ein „ich bin“ und „ihr sollt auch sein“, „ich habe“ und „ihr sollt auch haben“. Um eine Folge, um Konsequenzen geht es. Ein Haben und Geben. Um Jesu Verantwortung geht es für die Menschen, die ihm vertrauen. Was Jesus hat aus seiner Beziehung zu Gott, das gibt er weiter an die, die an ihn glauben. Daraus ergeben sich zwei Kriterien für das Leben:

 

Es gibt kein Leben für sich allein - also wenn wir von Leben in einem vollen, sinnvollen und erfüllten Sinn sprechen. Leben ist kein Eigensinn – es hat immer den Nächsten, die anderen mit im Blick. „Können die anderen auch leben?“ ist eine stetige Frage. Menschen übernehmen füreinander Verantwortung. Man kann das Leben nicht für sich behalten, sondern Leben ergibt sich im Austausch mit anderen.

 

Und das zweite: Leben ist wahrhaftig. In dem Zusammenhang mit der Jahreslosung steht der bekannte Satz Jesu: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Wer leben will, sollte wahrhaftig mit sich – und anderen - umgehen. Nicht die leichteste aller Übungen, gehört aber dazu.

 

Nun liegt in dem „und ihr sollt auch leben“ ja eine Absichtserklärung. Gott will, dass wir leben. Gott will nicht, dass wir uns opfern oder sonst was, sondern er will, dass wir leben.

 

Und es liegt darin eine Aufforderung. Tut das! Lebt! Laßt euch nicht beeinflussen oder gar beherrschen von den Ansichten, die lebensfeindlich sind. Sucht die Lebensmöglichkeiten. Laßt euch nicht einfangen von denen, die sagen, es hätte doch keinen Zweck. Und auch nicht von denen, die sagen, es gäbe leider Sachzwänge. -

Und die Aufforderung beinhaltet natürlich auch: Sorgt dafür, dass Leben möglich ist. Ihr übernehmt damit auch Verantwortung.

 

Man kann das „ihr sollt leben“ auch lesen als „ihr werdet leben“ –wenn wir von Jesus lernen, von seiner Gottesbeziehung und von seiner Menschenbeziehung.

 

„Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ das ist ein Geschenk Gottes an uns!

 

Und das Bombodrom? Es gibt eventuell irgendein Argument für das Bombodrom in der militärischen Logik, - jedoch zigtausende dagegen. Nach dem, was die Jahreslosung sagt, ist jeder Mensch, der hier in der Einflug- und Ausflugschneise lebt, ein Argument gegen das Bombodrom.

 

Wie würde man ein Lebensverhältnis beschreiben zwischen dem Bombodrom und uns, den Menschen, die hier leben?

 

Das eine Argument ist ja immer: „Es wird schon nicht so schlimm werden.“ Das ist einfach nur für dumm verkaufen.

 

Etwas mehr Mühe gibt sich eine andere Argumentation: Wir brauchen das Bombodrom für unsere politisch-militärischen Friedens-Aufträge in aller Welt. Das Lebensverhältnis, das so durch ein Bombodrom begründet werden würde, würde dann in etwa heißen: „Wir fliegen – und irgendeinen trifft es nun (leider) mit den Nachteilen.“ Das jedoch ist kein Lebensverhältnis. Das ist eine Bedrängung. Zuerst für uns. Und dann auch für die Opfer der Einsätze.

 

Hier wird die Folge umgedreht. Nochmal Jesus: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“. Dagegen das Verteidigungsministerium: „Damit wir fliegen können – müsst ihr leiden.“ Wer so denkt und redet, setzt Duckmäusertum voraus – oder einen seltsamen Heroismus, der sich in sein Leiden ergibt.

 

Hier zu fliegen, das ist für die Flieger - und alle, die sie schicken, vielleicht eine Art Freiheit. Es ist aber ein Leben auf Kosten anderer. Und ein Leben auf Kosten anderer kann kein Leben sein.

 

Wie einfach und klar dagegen die Jahreslosung: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“

Zuspruch und Auftrag. Dafür lasst uns sorgen!