09. Juli 2003

 

Bombenabwurfplatz Wittstock (Klagen vor deutschen und

europäischen Gerichten)

 

Zu der Entscheidung des Verteidigungsministeriums, das frühere sowjetische Bombodrom bei Wittstock wieder in Betrieb zu nehmen, erkläre ich für die von mir vertretenen Städte, Naturschutzverbände und Anwohner Folgendes:

 

1.        Ich werde unmittelbar nach Zustellung der angekündigten Entscheidung die seit langem vorbereiteten Klagen für die Betroffenen erheben. Die Betroffenen haben sich bereits seit Beginn des Anhörungsverfahrens im vergangenen Jahr intensiv auf diese Klagen vorbereitet. Insgesamt werden 9 Klagen erhoben, um die unterschiedlichen Rechtsverletzungen geltend zu machen:

 

a)        Kläger sind zunächst diejenigen Städte und Gemeinden, die bereits in den letzten 10 Jahren erfolgreich vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Nutzung des Bombenabwurfplatzes verhindert haben. Es handelt sich insbesondere um die Gemeinden und Ämter Rheinsberg und Schweinrich; das Gemeindegebiet dieser Kläger wird durch die Beanspruchung des Bombenabwurfplatzes in großem Umfang (bei Schweinrich über 50 %) beansprucht und abgesperrt.

 

Darüber hinaus werden die Klagen erhoben für Anliegergemeinden im südlichen Teil von Mecklenburg-Vorpommern (insbesondere die Gemeinde Rechlin), deren Stadtgebiet in der Anflugschneise des Bombenabwurfplatzes liegt. Diese Gemeinden sind gegen die Vorgaben der Rechtsprechung vom Verteidigungsministerium auch nicht angehört worden.

 

b)        Kläger sind darüber hinaus anerkannte Naturschutzverbände in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Diese Klagen sind deshalb besonders erfolgversprechend, weil in den letzten drei Jahren aufgrund der zwingenden Vorgaben des Rechts der europäischen Gemeinschaften gemeinschaftsrechtliche „Habitate“ (also durch Recht der Europäischen Gemeinschaften geschützte Naturschutzgebiete) im Auswirkungsbereich des Bombenabwurfplatzes festgesetzt worden sind. Über 80 % des gesamten Bombenabwurfplatzes sind als gemeinschaftsrechtliches Habitat wegen der sonderschutzwürdigen Vegetation festgesetzt. Darüber hinaus sind von den Truppenübungen und insbesondere den Tiefflügen insgesamt über 10 kleinere und größere Habitate betroffen, die insbesondere dem Schutz der dort befindlichen vom Aussterben bedrohten Vögel dienen. In besonderen Maße gilt dies für den Müritz-Nationalpark, der in seinem südlichen Teil nach europäischem Recht ein besonders qualifiziertes Vogelschutzgebiet darstellt. Neben der in den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gegebenen so genannten Verbandsklage machen die anerkannten Naturschutzverbände ihre Rechte insbesondere in der seit dem Jahre 2002 durch das Bundesnaturschutzgesetz eingeräumten Vereinsklage geltend, die gerade zum Schutz der europarechtlichen Habitate durch gerichtliche Überprüfungen geschaffen wurde.

 

c)        Die dritte Gruppe von Klägern betrifft besonders betroffene Einzelpersonen sowie insbesondere Privatkliniken und touristische Unternehmen im Bereich der Einflugschneise des Bombenabwurfplatzes. Die Unternehmen haben sich dort in besonders ruhigen und schutzwürdigen Erholungsgebieten angesiedelt und sind hierzu auch teilweise gefördert worden. Tieffluglärm würde den weiteren Betrieb dieser Unternehmen gefährden.

 

 

2.        Alle Kläger werden von den Auswirkungen des Bombenabwurfplatzes in einer teilweise unerträglichen Weise betroffen. Die Angaben in der kurzen Presseerklärung des Verteidigungsministeriums von heute lassen die Auswirkungen für die gesamte Region nicht erkennen. Die in dieser Presseerklärung genannten „1700 Einsätze im Jahr“ bedeuten praktisch bis zu 15.000 Tiefflüge, die teilweise auch während der Nacht durchgeführt werden sollen. Ein Teil der Tiefflüge findet in einer Höhe von unter 300 Metern über Grund statt. Nach der von unseren Gutachtern vorgenommenen vorläufigen Abschätzung übersteigen die Lärmbelastungen der Anwohner um drei- bis fünffache der Belastungen von unmittelbar betroffenen Anwohnern unter den Flugschneisen von Zivilflughäfen.

 

Offensichtlich wurden die Belastungen der europäischen Naturschutzgebiete durch die Tiefflüge und die Truppenübungen überhaupt nicht untersucht. Dies widerspricht zwingenden Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Da der abgesperrte Bereich selbst zu über 80 % ein europäisches Naturschutzgebiet ist, sind Tiefflüge, simulierte Bombenabwürfe und insbesondere Truppenübungen hier nach europäischem Recht ohnehin bereits zwingend ausgeschlossen. Die für eine Inbetriebnahme des Bombodroms erforderliche europarechtliche Verträglichkeitsprüfung hat offensichtlich überhaupt nicht stattgefunden; sie könnte auch nicht zu dem Ergebnis führen, dass eine Nutzung zulässig ist.

 

3.        Die rechtlichen Argumente gegen die Inbetriebnahme des Bombodroms sind schwerwiegend; es besteht aller Anlass zur Zuversicht, dass die Verwaltungsgerichte auch diesen neuen Versuch zur Inbetriebnahme untersagen werden.

 

Das Bombodrom war seit Anfang der 50er Jahre von der sowjetischen Armee in der Kulturlandschaft Brandenburgs zwischen Neuruppin und Rheinsberg illegal errichtet worden. Die Gemeinden und eine Vielzahl von Landwirten, Kirchengemeinden etc. waren entschädigungslos enteignet worden. Ende 1988 war das Bombodrom auf ca. 140 Quadratkilometer angewachsen. Nach 1990 entschied der Bund, das dass Gelände den Gemeinden und Eigentümern zurückgegeben werden soll; hierauf begannen die Planungen und Ansiedlungen der Gemeinden für eine Renaturierung des Geländes und zur friedlichen touristischen Nutzung. Kurz vor Abzug der Roten Armee im Jahr 1993 entschied die Bundeswehr dann überraschend, dass das Gelände wieder militärisch genutzt werden sollte; das gesamte Gelände wurde mit Zäunen bzw. Tafeln, die Schusswaffengebrauch androhten, abgesperrt. Wir haben dann für sämtliche Gemeinden, auf deren Gebiet das Bombodrom liegt, Klagen erhoben und die Nutzung des Bombodroms untersagt. Die Klagen waren in allen drei Instanzen erfolgreich. Zuletzt hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 14. Dezember 2000 der Bundeswehr die Nutzung untersagt; es hat aber offen gelassen, dass die Bundeswehr ein förmliches Verwaltungsverfahren durchführt, in welchem die Belastungen der Bevölkerung durch den Tieffluglärm sowie die ökologischen Schädigungen der Natur im Einzelnen untersucht werden sollen. Die Bundeswehr hat dann zwar eine Anhörung durchgeführt, eine wirkliche Abschätzung der Auswirkungen erfolgte jedoch nicht. Die Lärmbelastungen in der nunmehr geplanten Nutzung würden für die gesamte Region unerträglich sein und die in über 10 Jahren aufgebauten Renaturierungen, touristischen Einrichtungen etc. zerstören. Offensichtlich sind die Auswirkungen auf die europarechtlichen Naturschutzgebiete von der Bundeswehr überhaupt nicht geprüft worden. Diese rechtlichen Mängel sind sowohl nach deutschem als auch nach europäischem Recht schwerwiegend und unüberwindbar.

 

4.        Die Klagen werden zunächst vor dem Verwaltungsgericht Potsdam erhoben unmittelbar nach Zustellung der Bescheide. Die Klagen haben aufschiebende Wirkung und verhindern bis zur Rechtskraft eine Inbetriebnahme. Die Presseerklärung des Verteidigungsministeriums von heute gibt keine Auskunft darüber, ob die ausnahmsweise mögliche Anordnung der sofortigen Vollziehung der Bescheide erfolgt. Rechtlich erscheint dies ohnehin ausgeschlossen, da grundsätzlich die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in der Hauptsache abzuwarten sind. Sollte gleichwohl die Vollziehung angeordnet werden, werden wir hiergegen sofort einstweilige Anordnungen beim Verwaltungsgericht Potsdam beantragen.

 

Unmittelbar nach Zugang der Bescheide werde ich ferner vor der Kommission der europäischen Gemeinschaften eine Anordnung der Kommission gegen die Bundesrepublik gegen die Inbetriebnahme des Bombodroms beantragen; die Kommission war bereits mehrfach mit dem Habitatsschutz der betroffenen Naturschutzgebiete in der Umgebung des Bombenabwurfplatzes befasst.

 

 

gez. Dr. Reiner Geulen                                                     

 (Rechtsanwalt)